Anmerkungen zu den „Menschenwürde“-Demos

Die „tantifa“, eine Gruppe autonomer Feminist*innen aus Oldenburg hat einen Flyer als kritische Anmerkung zu den sog. „Menschenwürde-Demos“ verfasst. Diesen Text dokumentieren wir im folgenden:

Anmerkungen zu den „Menschenwürde – Demos“ in Oldenburg und anderswo

Die Welt befindet sich gerade in einer extremen Lage, die mit viel Verunsicherung einhergeht. Niemand kann die Situation und die Entwicklung 100% sicher oder „richtig“ einschätzen.

Alle – ob Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Privatmenschen – werden Entscheidungen treffen, deren Angemessenheit sich erst im Nachhinein beurteilen lässt. Deswegen brauchen wir gerade um so mehr Austausch, Abwägen, Fehlerfreudigkeit, immer-wieder-in-Frage-Stellen, respektvolles miteinander Ausdiskutieren…

Trotzdem gibt es manche Art von Fragen und Protest, die wir gefährlich finden oder ablehnen.

1) Wir können folgende Sorgen/Befürchtungen teilen bzw. verstehen: (In der Reihenfolge liegt keine Wertigkeit.)

Der Alltag ist ganz anders und anstrengender und vieles ändert sich dauernd.

Soziale Beziehungen fehlen, die Isolierung ist eine emotionale Belastung.

… dass in einer bestimmten Situation demokratische Grundrechte so schnell und massiv eingeschränkt werden können.

die Angst um die eigene wirtschaftliche Existenz.

… dass die soziale und ökonomische Ungerechtigkeit in der Gesellschaft noch schlimmer wird.

die Fragen bezüglich der Verhältnismäßigkeit der verschiedenen lock-down-Maßnahmen.

wie z.B. die schier unlösbare Frage: „Besuche ich meine Oma, der es schlecht geht und riskiere, dass ich sie anstecke, oder schütze ich sie und lasse sie in ihrem Einsamkeitsgefühl?“. Ähnlich geht es auch Angehörigen anderer unterstützungsbedürftiger, kranker oder sterbender Menschen.

die Verschärfung von bestehenden gesellschaftlichen Problemen (wie Sexismus, ungleicher Verteilung von Care-Arbeit, Gewalt gegen Kinder, Frauen, Trans- und Interpersonen…) durch die Lock-Down-Maßnahmen.

… dass im Rahmen der Lockerungen „Wirtschaft ankurbeln“ wichtiger genommen wird als z.B. die Bedürfnisse von Kindern.

die Unsicherheit, welche Informationen stimmen und wem vertraut werden kann, weil so viel Unterschiedliches gesagt wird

… dass das Gesundheitssystem profitorientiert ist, anstatt sich an den Bedürfnissen der Gesellschaft und der Menschen zu orientieren

die Zunahme von digitaler Überwachung und Datenmissbrauch

2) Was wir gefährlich finden bzw. ablehnen:

  • wie energisch die eigenen Grundrechte und die eigene Menschenwürde verteidigt werden und wie wenig energisch sich für die Grundrechte anderer (z.B. weniger privilegierter) Menschen eingesetzt wurde und wird. Was ist mit Menschenrechtsthemen wie Schutz für Menschen, die fliehen müssen, (strukturelle) Gewalt, Krieg, Ausbeutung, Zerstörung von Lebensgrundlagen, Klimawandel, zunehmender Antisemitismus, Rassismus…?
  • …zu betonen, dass bestimmte Menschen ohnehin sterben würden und Covid-19 diesen Prozess „nur“ beschleunige, z.B. Alte, Kranke, Menschen, die keine Chancen zu körperlicher Distanzierung und selbstschützendem Verhalten haben, und nicht wahrzunehmen, wie damit sozialdarwinistische Gedanken unterstützt werden.
  • … dass einige Menschen nicht sehen, dass die von ihnen geforderte „Freiheit“ andere Menschen in ihrer Freiheit einschränkt (z.B. keine Masken tragen zu wollen und dadurch andere zu gefährden).
  • Stimmungsmache gegen einzelne Menschen oder „die eine Elite“ – obwohl das Problem im System liegt, u.a. im kapitalistischen Wirtschaftssystem.
  • Die Vorstellung, dass Einzelne oder Gruppen einen Plan hätten, die Welt zu beherrschen. Dies ist ein alter, strukturell antisemitischer Mythos.
  • Menschen, die meinen, sie seien die Einzigen, die „die Wahrheit“ erkannt haben.
  • Selbstgerecht und pauschal Journalist*innen abzuwerten und für sich zu beanspruchen, dass sich „diese Zusammenhänge bereits nach wenigen Minuten Internetrecherche erschließen“.
  • Menschen, die nicht zugestehen, dass die Welt mit ihren fast zweihundert Staaten und mit ihren Milliarden von Bewohner*innen mit ganz unterschiedlicher politischer und kultureller Ausrichtung ein sehr komplexes Gefüge ist und einfache Erklärungen zu kurz greifen.
  • AfD, Reichsbürger*innen und andere Rechtsextreme, die ganz gezielt die Gesellschaft verunsichern und auf diesen Demos Menschen ansprechen, um so an Einfluss zu gewinnen.
  • … wenn rechte Positionen und Verharmlosung der NS-Geschichte auf diesen Demos Platz haben und Menschen mit bekanntermaßen rechten bis rechtsextremen Positionen an den Demos teilnehmen.

3) Was wir denken, was notwendig ist

Eine Bewegung, die sich klar von rechten Positionen distanziert und keine Gleichmacherei von links und rechts betreibt.

Eine Bewegung, die nicht in der Benennung der eigenen Ängste und Unzufriedenheiten verbleibt, sondern kämpft für eine grundlegende, gerechte und zukunftsweisende Veränderung der Gesellschaft.

Für eine Solidarität, die niemanden vergisst.

Für eine Solidarität die Menschenrechte und ein gutes Leben für wirklich Alle fordert!

Für einen radikalen sozialen und ökologischen Umbau der Gesellschaft! Jetzt! Weltweit!

tantifa – autonome Feminist*innen aus dem Alhambra

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