„Die einzig richtige Entscheidung wäre ein Freispruch gewesen“ – Interview zum Prozess gegen vier Antifaschist*innen

Bei Protesten gegen den AfD-Parteitag 2018 in Oldenburg würden vier Antifaschist*innen während einer Kunstaktion von Ordnern der AfD angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Dennoch wurden nicht die AfDler, sondern die Antifaschist*innen angezeigt. Der Prozess gegen sie wurde nun gegen Geldauflagen eingestellt. Wir haben zwei Betroffene gefragt, wie sie den Prozess erfahren haben, ihn bewerten und wie es weiter gehen soll.

Ihr hattet letzte Woche einen Prozess wegen dem AfD-Landesparteitag 2018 in Oldenburg. Was wurde euch vorgeworfen?

Ines: Uns war wichtig, dass bei dem zweitägigen Parteitag auch am Sonntag noch ein entschlossener Protest zu sehen und zu hören ist. Deswegen hatten wir vor der Weser-Ems-Halle ein „antirassistisches Kleinkunstkonzert mit theaterpädagogischen Elementen“ angemeldet. Und wir haben dann versucht eine gewaltfreie Theaterperformance direkt auf dem Parteitag zu zeigen. Um die AfD und die anwesende Presse damit zu konfrontierten, dass es eine rechte, in Teilen faschistische Partei ist. Außerdem wollten wir, dass es keine große räumliche Trennung, zwischen unserem Protest und denen, gegen die wir demonstrieren, gibt. Deshalb war es wichtig, die Theaterperformance im Parteitag zu zeigen.

Steffen: Die Staatsanwältin hat behauptet, wir hätten uns gewaltsam Zugang zum AfD-Parteitag verschaffen wollen, indem wir uns an zwei AfD-Ordnern vorbei drängen wollten und dabei Verletzungen billigend in Kauf genommen hätten. Die beiden haben behauptet, sie seien verletzt worden. In der Anklageschrift gab es daher zwei Vorwürfe, das eine war gefährliche Körperverletzung, weil sie gemeinschaftlich begangen sein sollte, das andere war Nötigung. Wir haben die natürlich nicht angegriffen und auch keine Verletzungen billigend in Kauf genommen, sondern hatten einen klaren gewaltfreien Konsens an den wir uns auch gehalten haben. Wir waren vor einer Tür, die zum Parteitag führte, dort wurde zwei Menschen vom AfD-Sicherheitsdienst, die auch Parteimitglieder sind, die Tür geöffnet, und wir wollten mit ihnen reingehen. Dabei haben sie uns dann angegriffen und teilweise schwer verletzt.

Ines: Und wir wollen wir noch mal drauf hinweisen, dass bei mehreren von uns schwere Verletzungen entstanden sind, etwa ein bleibender Knieschaden. In den Prozessakten kam das aber kaum vor.  

Gibt es gegen die zwei Personen von der AfD noch ein Verfahren?

Ines: Ich hoffe das. Das ist doch ein skandalöses Detail in dem ganzen Fall: Das Verfahren gegen die AfDler wurde auf Aktenlage eingestellt, wir wurden nicht mal angehört. Gegen uns wurde aber wegen eines besonderen öffentlichen Interesses der Prozess eröffnet. Unsere Anwält*innen haben Beschwerde gegen die Einstellung eingelegt. Wie mit dem Verfahren jetzt weiter umgegangen wird, wissen wir noch nicht – das wird jetzt die Staatsanwaltschaft entscheiden. 

Euer Verfahren wurde gegen eine Geldauflage eingestellt. Wie bewertet
ihr die Gerichtsentscheidung?

Steffen: Die einzig richtige Entscheidung wäre ein Freispruch gewesen. Wir konnten aber aufgrund der massiven Drohkulisse in Form von Repressionen bei der gefährlichen Körperverletzung und der zusätzlichen Nötigung nicht erwarten Gerechtigkeit zu erfahren. Das hat uns dazu bewegt, unter Bauchschmerzen der Einstellung zuzustimmen. Wir mussten mit Schlimmerem rechnen, haben es aber auch aus Kapazitätsgründen gemacht.

Ines: Ich würde das unterstreichen. Ich glaube, ich habe viel zu euphorisch gesagt „Das unglaubliche ist wahr geworden“ als wir aus dem Gerichtssaal kamen. Was ich tatsächlich unglaublich fand, dass sie nach Verlesung der Anklageschrift uns diese Einstellung angeboten haben. Das hätten sie auch aufgrund der Aktenlage machen können, sie haben kein Wort zur Sache im Prozess von uns gehört. Dann hätte man sich diesen ganzen Prozesstag sparen können. Ich würde nochmal herausstellen, dass zwei Dinge ausschlaggebend waren, um diese Einstellung anzunehmen. Wir konnten bestimmen, wo das Geld hingeht. Es geht jetzt eben an Vereine, die sich um Opfer von rechtsradikalen Angriffen kümmern, etwa dem NSU Komplex. Außerdem finden wir es wichtiger, weiter politisch zu arbeiten, als weitere Verhandlungstage vorzubereiten. 

Wie bewertet ihr jetzt rückblickend eure damalige Aktion?

Ines: Nichts ist unmöglich. Wir hatten in der Vorbereitung eine Sache nicht bedacht: Dass wir in eine Situation mit den AfDlern ohne Öffentlichkeit, ohne Presse, ohne Polizei bei der Performance kommen könnten. Ich würde mich nie allein auf eine Auseinandersetzung mit AfDlern einlassen, weil ich weiß, dass die einfach unglaublich brutal sein können. Ich finde es dennoch wichtig, die AfD direkt mit Protest zu konfrontieren. Das Ganze auch mit künstlerischen Mitteln, weil ich glaube, dass Inhalte damit besser transportiert werden als bei anderen Aktionsformen. Je vielfältiger unser Widerstand ist, desto mehr Menschen können wir erreichen.

Steffen: Ja, die ganze Aktion wäre aber ja auch anders verlaufen, wenn wir dort auf irgendwelche AfD Mitglieder gestoßen wären, die nicht unbedingt zum Sicherheitsdienst gehören. Die waren aber jetzt noch extra geschult, zumindest mehr oder weniger. Einer von denen war nach Rechercheergebnissen ein ehemaliger Kripobeamter. Außerdem waren im Gegensatz zur Schilderung  der AfDler drei AfD Leute vor Ort. 

Ines: Körperlich hatte ich in der konkreten Situation gegen einen „2-Meter-Menschen“ natürlich keine Chance. Er lag auf mir drauf und ich habe mich überhaupt nicht zur Wehr gesetzt, weil wir diesen gewaltfreien Konsens hatten. Der Typ hat mich im Prinzip zusammengeschlagen, das ist eine krasse Gewalterfahrung.

Steffen: Mit einem Überraschungsmoment bei Menschen, die kein Sicherheitspersonal sind, wären wir auch sehr schnell durch die Tür durch und auf dem Parteitag gewesen. Dort hätte es eine Presseöffentlichkeit gegeben. Deswegen ist die Aktionsform gut, auch wenn die positive Bilanz von den Verletzungen eindeutig getrübt wird. Und dass diese von der Justiz nicht wahrgenommen wurden, ist ein klares Zeichen gegen antifaschistische Politik.

Ines: Der Preis einen bleibenden Knieschaden davonzutragen ist zu groß. Das hat lebenslang einschränkende Wirkungen. Umso krasser, dass das Verfahren die AfDler auf Aktenlage eingestellt wurde. Da bin ich immer noch empört, dass wir nicht mal gefragt wurden.

Welche Konsequenzen zieht ihr aus diesem Verfahren?

Steffen: Ich bin sehr zufrieden damit, was wir aus diesem Prozess jetzt noch gemacht haben. Das war viel Arbeit für viele Menschen und nicht einfach, aber wir haben noch mal eine größere Öffentlichkeit mit der Gewalttätigkeit der AfD konfrontiert. Wir hatten sehr viel solidarische Unterstützung, die nach der Meinung von uns und unseren Anwält*innen auch Eindruck auf das Gericht gemacht hat. Ich würde mir wünschen, dass diese Solidarität auch in anderen Kontexten gezeigt wird, etwa anderen Menschen, die von Repressionen betroffen sind.

Ines: Es zeigt einfach auch, wie wichtig ein solidarisches Umfeld ist. Unsere Anwält*innen sind sich sicher, dass diese Öffentlichkeit dazu beigetragen hat, dass die Richterin relativ schnell eingeknickt ist und zusammen mit der Staatsanwaltschaft uns diese Einstellung angeboten hat. Ich bewerte die Aktionsform auf jeden Fall auch als richtig und wichtig.  Am zweiten Tag des Parteitags gab es 2018 ein Antirassistisches Rap Konzert und Kunstaktionen vor der Halle, im Grunde so wie am Mittwoch bei dem Prozess. Dieses Zusammenspiel aus Kunst und Kultur, (die für mich in sich politisch ist) und dem Transport von politischen Inhalten erhöht die Chance Leute zu erreichen, die wir mit anderen Aktionsformen schlechter oder gar nicht erreichen. 

Ihr hatte als Begleitung zu eurem Prozess ein Kulturfestival angekündigt. Coronabedingt gab es dafür keine Genehmigung. Holt ihr das nach?

Ines: Wir sind da dran. Wie gesagt: Widerstand ist vielfältig. Es gehört für uns klar zu dem Prozess und ist Teil unserer antifaschistischen Arbeit. Wir wollen das Festival unbedingt nachholen. Dort wird es Kunst- und Kulturprogramm geben. Sobald wir die Genehmigung haben wird das auf der Homepage kulturkannmehr.wordpress.com angekündigt.

Steffen: Das Unterstützer*innenumfeld ging über die etablierten Linksradikalen Kreise hinaus. Zum Beispiel konnten wir einen Trailer für den Prozess im Autokino zeigen, der von professionellen Menschen erstellt wurde. An dieser Stelle auch noch mal einen großen Dank dafür an das Cine k. Mit dem Trailer haben wir schätzungsweise 6-7.000 Menschen erreicht.

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