Klimaaktivist_innen schneiden Kraftwerk vom Nachschub ab — Ein Bericht von „Ende Gelände!“

Das Konzept von „Ende Gelände!“ ist mehr als aufgegangen. Am Pfingstsonntag verhindern nach 48 Stunden noch immer Aktivist_innen den Nachschub des Braunkohlekraftwerks „Schwarze Pumpe“ in der brandenburgischen Lausitz und besetzen Gleise, Förderbänder und Bagger des nahegelegenen Tagebau Welzow-Süd. Der Betreiber Vattenfall fährt das Kraftwerk gedrosselt – am untersten Limit im „Notmodus“ – um Brennstoff zu sparen. Mehrere tausend Aktivist_innen reisten im Laufe der Woche zum Klimacamp in die Lausitz – darunter mehrere Oldenburger_innen – um mit zivilem Ungehorsam gegen Braunkohleabbau und -verstromung zu protestieren.

Das politische Ziel war klar. Das Ende der Braunkohleverstromung in der Lausitz und überall muss endlich umgesetzt werden. Warum sollte mittlerweile allen klar sein. Der enorme Ausstoß von CO2 ist mit Klimaschutzzielen nicht vereinbar. Die Belastung von Mensch und Umwelt durch Feinstaub und Schwermetallemissionen ist nicht mehr hinnehmbar. Und durch den offenen Tagebau wurden und werden immer noch tausende Menschen aus ihren Dörfern vertrieben, die den Baggern zum Opfer fallen.

Die Brisanz im Lausitzer Braunkohlerevier: Vattenfall als Betreiber will seine Braunkohlesparte loswerden – um „grün“ zu werden. Seit kurzem steht fest an wen. Den tschechischen Konzern EPH, der sogar noch 1,7 Milliarden Euro von Vattenfall für die Übernahme bekommen soll. Die Forderung von „Ende Gelände!“: Die Chance nutzen, Tagebaue und Kraftwerke endlich stillzulegen und zu zeigen, dass ein sozialer und ökologischer Ausstieg möglich ist.

Freitag Nachmittag startete die Aktion. Mehr als tausend Menschen brechen in drei „Fingern“ auf, um verschiedene Ziele im Tagebau und auf den Schienen zum Kraftwerk zu erreichen. Die Stimmung ist euphorisch! Wir sind viel mehr als vorher eingeschätzt wurde und niemand kann sich noch vorstellen, dass Vattenfall oder die Polizei die Massenblockaden verhindern kann. Im Gegenteil, als unsere Gruppe mit dem blauen Finger am Tagebau ankommt, steht alles still. Wenige Vattenfall-Pickups fahren in der Grube herum. Keine Polizei, niemand der uns aufhält. Das war letztes Jahr noch anders. Im rheinischen Tagebau Garzweiler haben Polizei und RWE noch versucht, unter massivem Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken, das Eindringen zu verhindern. Wenig später sind mehrere Bagger besetzt. Das Signal: Zumindest an diesem Wochenende wird keine Braunkohle gefördert. Etwa hundert bleiben auch über Nacht. Ein Teil unserer Gruppe auch; wir übernachten im Maschinenraum des riesigen Abraumbaggers. Von den anderen Fingern bekommen wir die Nachricht, dass auch der rote Finger mit hunderten Aktivist_innen einen Abraumbagger blockiert und nochmal so viele im grünen Finger die Schienen an der Verladestation vor dem Tagebau besetzt haben. Schon jetzt ist die Aktion ein Erfolg. Vattenfall kapituliert und stellt den Tagebaubetrieb ein.

Für „Ende Gelände!“ ist es das Zeichen noch einen Schritt weiter zu gehen. Aktivist_innen, die erst Freitag im Camp eingetroffen sind und die, die nach der Aktion nicht in der Grube oder auf der Schiene übernachteten, machen sich am Samstag auf den Weg zum Kraftwerk. 1500 Menschen haben ein Ziel: Die Blockade aller Zufahrtswege zum Kraftwerk. Wenn schon keine Kohle mehr gefördert werden kann, soll auch die Versorgung des Kraftwerks über die Schienen gestoppt werden. Irgendwann wird dem Kraftwerk der Brennstoff ausgehen und es muss heruntergefahren werden. Mehrere hundert Menschen blockieren mit Sitzblockade die Einfahrtgleise, wieder so viele die Ausfahrt. 200 kommen mit dem Fahrrad und blockieren. Kletter_innen von Robin Wood seilen sich an einer Brücke über der Schiene ab und verhindern damit den Zugverkehr. Aktivist_innen von LAUtonomia und Robin Wood blockieren sehr effektiv über 24 Stunden mit einer Betonpyramide an einem anderen Schienenstück.

Zwischenzeitlich ist das Kraftwerk an fünf Punkten blockiert. Teilweise mit mehreren hundert Menschen. Eine größere Gruppe entschließt sich dann in das Kraftwerk einzudringen. Jetzt ist offenbar Schluss mit Zurückhaltung seitens der Polizei. Mit Schlagstock und Pfefferspray werden Aktivist_innen vertrieben. Viele werden dabei verletzt und eingekesselt. Bis dahin waren die Aktionen sehr friedlich ohne Eskalation von beiden Seiten.

Nach der Nacht im Maschinenraum des befreiten Baggers verlassen wir die mittlerweile ausgerufene „freie Republik Welzow-Süd“ am Samstag Nachmittag, andere lösen uns ab. Die Bagger sollen auch mindestens bis Sonntag besetzt bleiben. Nach kurzer Erholung unterstützen wir die Schienenblockade vor dem Kraftwerk um die Nacht dort zu verbringen. Wir treffen dort auch den Rest unserer Bezugsgruppe, die erst am Samstag in die Aktion gingen. Wir stellen uns auf eine kalte Nacht ein, es könnte auch regnen. Zwischenzeitlich hört einer von zwei Kühltürmen auf zu rauchen. Vattenfall drosselt massiv die Leistung. Wir sind entschlossen zu bleiben, bis auch das Kraftwerk abgeschaltet wird. Wir hören, dass Vattenfall mit der Polizei verhandelt. Sie soll die Aktivist_innen räumen. Offenbar sieht die Polizei das anders. Vattenfall, das ist euer Problem. Es besteht auch Samstag Abend noch keine Räumungsgefahr der großen Blockaden in der Grube, an der Verladestation und auf den Schienen vor dem Kraftwerk.

Die traurige Seite am Wochenende. Sogenannte „Pro Kohle“-Demonstranten, viele mit IG BCE-Flagge unterwegs, versammeln sich an unserer Schienenblockade unterhalb der Brücke auf der Straße und pöbeln Aktivist_innen an. Die Stimmung wird zunehmend angespannter. Über Facebook werden auch Neonazis aus dem Umland mobilisiert. Der sich versammelnde Mob erinnert uns an gruselige Szenen bei Übergriffen gegen Geflüchtete der letzten Monate. Zwei aus unserer Gruppe gehen auf dem Weg zur Blockade durch den Mob und werden unter anderem als „Ökofotzen“ beleidigt sowie leicht attackiert. Wir sind sehr erleichtert, dass sie mit einem Schreck und ohne ernsthafte Verletzungen davon kommen. Ab jetzt wird allen klar. Passt auf euch auf und geht nicht alleine los! Im Laufe des Abends versuchen dann noch einzelne aus dem Mob die Blockade anzugreifen. Es fliegen Böller und Flaschen. Das die Situation ernst ist, zeigt sich auch, als Mahnwachen angegriffen wurden und Kleingruppen mit dem Auto Aktivist_innen auf dem Heimweg ins Camp auflauern.

Als Sonntag Nachmittag die Blockade an vielen Stellen für 48h aufrecht gehalten wurde, entschließt sich „Ende Gelände!“, die Aktion zu beenden. Wir verlassen ebenfalls nach einer kalten Nacht die Blockade auf den Gleisen, etwa 50 wollen allerdings noch eine Nacht bleiben. Einzelne haben sich an die Schienen gekettet.

Zurück im Camp sind wohl die meisten erschöpft und froh über den Erfolg der Aktion. Einige machen Party, andere ziehen sich zurück, suchen Ruhe. Wenige warten noch auf Genoss_innen, die noch unterwegs in den letzten Blockaden sind oder doch noch in die Gefangenensammelstelle gebracht wurden. Zwei von uns übernehmen noch eine Schicht zum Campschutz, denn es gibt eine ernste Gefahr, dass rechte Gruppen das Camp angreifen wollen. Am späten Abend bewahrheitet sich dies auch. 57 strafrechtlich bekannte Rechte versammeln sich im Dorf. Im Camp bilden sich Schutzstrukturen. Letztlich wird auch Polizei darauf aufmerksam und stellt nach Personalienfeststellung der Gruppe einen Platzverweis aus. Die Stimmung bleibt angespannt und nervös. Wir sind sind in der Überzahl, doch die Rechten gehen mit großen Selbstbewusstsein vor. Wir befinden uns ganz klar in ihrem Revier.

Montag früh reisen wir dann schon zurück nach Oldenburg. Wir freuen uns über eine warme Dusche und ein warmes Bett. Noch mehr hoffen wir, dass die Nachricht, die von dieser Aktion ausging, in die Welt getragen wird.

Die Klimabewegung als soziale Bewegung ist groß und stark geworden. Sie wird weiterwachsen und ist in der Lage, notwendige Veränderungen anzustoßen und durchzusetzen. Die Klimabewegung wird auch radikaler, der notwendige Systemwechsel bzw. die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft ist mittlerweile Konsens.

System change, not climate change!

We are unstoppable, another world is possible!

Fotostrecke vom Freitag, 13. Mai 2016:
Ende Gelände 2016 - 13.05. Best of day I//embedr.flickr.com/assets/client-code.js

Fotostrecke vom Samstag, 14. Mai 2016:
Ende Gelände 2016 - 14.05. Best of day II//embedr.flickr.com/assets/client-code.js

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